Verifikationistische Metaphysikkritik

 

Der Verifikationismus tritt als philosophische Richtung auf, die sich auch durch ihre Kritik der Metaphysik selbst definiert. Er wird oft als paradigmatische Form der Metaphysikkritik angeführt. Zugleich jedoch gilt die Metaphysikkritik des Verifikationismus als überholt.

In diesem Beitrag werden zunächst systematisch Grundthesen des Verifikationismus vorgestellt. Die zweite Hälfte des Beitrags behandelt zum einen die Metaphysikkritik des Verifikationismus, zum anderen werden die grundsätzlichen Schwierigkeiten dieser Metaphysikkritik diskutiert. Eingewoben in die Darstellung sind einige historische Bemerkungen zu verschiedenen Autoren des Verifikationismus, um die Varianten und Entwicklungen des Verifikationismus nachzuvollziehen.

 

Verifikationistische Bedeutungstheorien identifizieren die Bedeutung eines konstativen kontingenten Satzes mit der kanonischen Methode der Überprüfung der Wahrheit der mit ihm gemachten Behauptung. Diese Verifikation kann entweder die Wahrheit der Behauptung erweisen oder diese widerlegen. Gelingt immer eines von beiden ist der Satz verifizierbar. Aufgrund der semantisch grundlegenden Funktion von Behauptungen, welche konstative Sätze verwenden, lassen sich andere Sprechakte (wie Befehlen oder Fragen) erläutern durch die Bedeutung der in ihnen vorkommenden Sätze, sowie der Gelingensbedingungen der Sprechakte dieses Typs. Dies übernimmt die Sprachpragmatik. In ihr werden die Grundregeln des illokutionären Vokabulars (wie „ich fordere Dich auf“, „ich frage Euch“) erläutert. Die Semantik befasst sich mit dem gelingenden oder misslingenden Wirklichkeitsbezug von Behauptungen bzw. der in ihnen verwendeten konstativen Sätze, wobei in der Regel davon ausgegangen wird, dass indexikalische Satzkomponenten durch Ausdrücke, welche deren situativer Verankerung entsprechen, ersetzt werden (könnten). Neben den kontingenten konstativen Sätzen treten noch analytische Sätze auf. Analytische Sätze lassen sich verifizieren durch den Rückgang auf die Definitionen der in ihnen vorkommenden Ausdrücke bzw. die ‚Bedeutungspostulate’. Eine besondere Teilmenge der analytischen Sätze sind die im engeren Sinne logisch wahren Sätze. Diese ergeben sich durch Herleitung aus den (logischen) Axiomen bzw. den Definitionen des rein logischen Vokabulars. Räumt man derart die grundlegende Rolle der konstativen Rede ein und versteht ‚Verifikation’ in diesem zweifachen Sinne (der kontingenten kanonischen Überprüfung und der Herleitung) kann man die verfikationistische Bedeutungstheorie etwas verkürzt durch das Verifikationsprinzip ausdrücken:

 

(VP)            Die Bedeutung eines Satzes besteht in der Methode seiner Verifikation.

 

Analytische Sätze sind a priori wahr. Andere apriorische Sätze – insbesondere synthetisch apriorische Sätze – erkennt der frühe Verifikationismus nicht an. Ebenso wenig wird anerkannt, dass moralische Sätze eine kognitive Funktion besitzen. Moralische Äußerungen sind rein expressiv. Mit ihnen drückt ein Sprecher seine Vorlieben aus. Eine Behauptung über solche Vorlieben kann, um selbst verifizierbar zu sein, nur durch eine Verhaltensbeobachtung verifiziert werden, die Kriterien eines diesem Bedürfnis typischen Verhaltens anlegt. Dementsprechend behauptet Rudolf Carnap in seinem Aufsatz „Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft“ den Vorrang physischer Beschreibungen vor introspektiven. Und darum findet sich bei Otto Neurath und Carnap schon vor Ludwig Wittgenstein eine Variante eines Privatsprachenargumentes, insofern eine mutmaßliche Privatsprache aus Äußerungen bestünde, die sich nicht (öffentlich) verifizieren lassen.

Ein Satz, der über keine Methode der Verifikation verfügt, ist nicht verifizierbar, womit sich per Kontraposition aus dem Verifikationsprinzip das kritische einzusetzende Sinnkriterum ergibt:

 

(SK)            Ein Satz, der sich nicht verifizieren lässt, ist bedeutungslos.

 

Auf diesem Sinnkriterium beruht ein Teil der Metaphysikkritik des Verifikationismus. Es macht eine der drei Säulen dieser Kritik aus.

Die Rede von den ‚Methoden der Verifikation’ lässt sich auf verschiedene Weise verständlich machen. In der Semantik einer Sprache liegen – u.a. in den sogenannten ‚Wahrheitsbedingungen’ – Konditionale und Bikonditionale vor, welche die Verwendung eines Ausdrucks mit der Verwendung anderer Ausdrücke verknüpfen. Zum Beispiel:

 

(1)    Eine Flüssigkeit ist eine Säure, wenn sie einen ph-Wert < 5 besitzt.

 

Mann kann (1) so verstehen, dass die Verwendung des Ausdrucks „ist eine Säure“ dann gerechtfertigt ist, wenn die betreffende Flüssigkeit einen ph-Wert < 5 besitzt. Eine kanonische Methode, den ph-Wert zu messen (z.B. Lackmuspapier), operationalisiert diese Bedingung und liefert damit eine kanonische Methode zur Verifikation einer Säurenbehauptung.

Des Weiteren gilt als Grundnorm der konstativen Rede, dass man nur behaupten soll, was man für wahr hält. Bezüglich der semantischen Konditionale ergibt sich daraus die Hintergrundnorm, Ausdrücke genau so zu verwenden, dass diese Konditionale und alle, die aus ihnen folgen, wahr sind. Insofern kann man diese Konditionale leicht verkürzend als ‚semantische Regeln’ auffassen. Das Befolgen der semantischen Regeln führt zu wahren Aussagen. Und diese Regeln geben die Verifikationskriterien an, um die Wahrheit einer Behauptung (Aussage) zu überprüfen, die unter Verwendung eines Satzes, in dem entsprechende Ausdrücke vorkommen, gemacht wurde.

Im frühen Verifikationismus des Wiener Kreises (wie er sich vor allem in den ersten Bänden der Zeitschrift Erkenntnis artikuliert) denkt man sich Verifikation als Rückgang auf das ‚Gegebene’, letztlich Basisaussagen oder Protokollsätze, die unmittelbare Wahrnehmungserlebnisse berichten. Komplexere Ausdrücke und das theoretische Vokabular sollen darauf reduziert werden. Den klassischen Ansatz präsentiert Moritz Schlicks Aufsatz „Meaning and Verification“ und den Versuch der (Grundlegung der) umfassenden Umsetzung eines solchen Programms liefert Carnaps Der logische Aufbau der Welt. Doch schon bald setzte im Wiener Kreis die Kritik des ‚Mythos des Gegebenen’ ein. In die Behauptung von Beobachtungen gehen schon Normalitätsunterstellungen und Theorieversatzstücke ein. Carnap wechselt daher in „Testability and Meaning“ schon früh zu einer Betonung der Bestätigungsfähigkeit sinnvoller Aussagen, im Unterschied zu deren abschließender Verifzierbarkeit in Wahrnehmungsevidenzen, an die Schlick denkt. Mit jeder Bewährung durch gelingende Vorhersagen und entsprechende Erfahrungsberichte wird eine Aussage mehr und mehr bestätigt. Diese Verschiebung in Richtung auf graduelle Bestätigung weist in die Richtung von Carnaps späteren Untersuchungen zu induktiven Logiken. Als ebenfalls problematisch erwies sich das Reduktionsideal des Logischen Aufbau der Welt. Es gibt keine eindeutige Rückführung des theoretischen Vokabulars auf das Beobachtungsvokabular. Insofern Begründung und Bewährung holistische Verfahren sind, muss sich dies auch auf einen modifizierten Verifikationismus auswirken. Der Verifikationismus vertritt eine epistemische Auffassung von semantischen Beziehungen. Ein epistemischer Holismus muss dann folgerichtiger Weise zu einem semantischen Holismus führen. Ein solcher verifikationistischer Bedeutungsholismus lässt sich durchaus formulieren. In ihm besteht die Bedeutung eines Satzes in dessen (kanonischen) Begründungsverfahren, die allerdings wieder auf andere Begründen verweisen – usw. Dies verhindert nicht die Beurteilung der Verifizierbarkeit eines Satzes, da sich etwa Begründungspflichten einschränken lassen (etwa muss nur da begründet werden, wo berechtigter Zweifel angemeldet werden kann). Auch ist ein Verifikationismus mit der Annahme eines synthetischen Apriori kompatibel (s.u.). Aufgrund der Assoziation von „Verifikationismus“ mit dem Wiener Kreis, spricht man heute besser von ‚Rechtfertigungssemantiken’. Dazu zählen sowohl Michael Dummetts Konstruktivismus, als auch die Dialogische Logik oder auch die Spieltheoretische Semantik Jaakko Hintikkas. Alle diese Ansätze halten daran fest, dass der für die Semantik konstitutive Wirklichkeitsbezug epistemisch aufgefasst werden muss. Wahrheit und Begründen lassen sich nicht trennen. Die grundsätzliche Alternative zu einer Rechtfertigungssemantik liegt entsprechend in einem semantischen Externalismus. Dieser betont zu Recht, dass wir mit „Dies ist eine Säure“ primär zu verstehen geben, dass dies eine Säure ist, unabhängig davon wie man dies feststellen kann und ob wir wissen, wie man dies feststellt. Selbst bei Vorzug einer solchen Referenzsemantik verweist der Verifikationismus zu Recht auf die Nähe von Verifikationswissen zu unserem Bedeutungswissen, selbst wenn beide nicht identisch sind.

 

Die Metaphysikkritik des Verifikationismus beruht auf drei Säulen

In seinem Aufsatz „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ setzt Carnap das logische Instrumentarium der modernen Prädikatenlogik ein, um nachzuweisen, dass eine Reihe von metaphysischen Sätzen logisch inkorrekt geformt sind. Ein bekanntes Beispiel ist Carnaps Kritik an Martin Heideggers Übergang von „… und sonst nichts“ zu „dieses Nichts“ in Sein und Zeit. Sätze mit „… und sonst nichts“ wie

 

(2)    Sie tranken die eingeschenkten Getränke aus, und sonst nichts.

 

werden in der Prädikatenlogik mit einem Allquantor so formalisiert, dass „und sonst nichts“ die Universalität bzw. die Ausschlussklausel zum Ausdruck bringt, in (2): alles was getrunken wurde, waren die eingeschenkten Getränke. Daraus ergibt sich kein berechtigter Übergang zu einer Nominalisierung „das Nichts“. Der Metaphysiker verstößt gegen die Logik.

Ebenfalls gegen die Prädikatenlogik verstößt, nach diesem Aufsatz Carnaps, die Behauptung

 

(3)    Die Substanz ist.

 

denn Existenz findet sich allein im Existenzquantor wieder, und nicht in einem Existenzprädikat. (Eine Kritik, welche durch die Entwicklung Freier Logiken, die ein ‚sachhaltiges’ Existenzprädikat verwenden, so einfach nicht mehr formuliert werden kann.)

Carnap sieht auch in Kategorienfehlern einen Mangel nicht-formaler Sprachen.

 

(4)    Die Zahl 7 ist grün.

 

(4) ist für Carnap ein sinnloser Satz: die semantischen Kategorien zu den Zahlen gehören und zu denen farbige Dinge gehören überschneiden sich nicht, so dass ein genereller Term der einen Kategorie nicht auf singuläre Terme der anderen angewendet werden darf. (Gottlob Frege erlaubt ausdrücklich die Anwendung jedes generellen Terms auf jeden referierenden singulären Term und hält entsprechende Sätze wie (4) einfach für falsch, nicht für sinnlos.)  Eine perfekte Sprache ließe für Carnap solche Kombination nicht zu. Betrachtungen zu Kategorienfehlern können, anders als im Fall (4), erhebliche Relevanz bekommen. Betrachten wir:

 

(5)    Die Zahl p bereitete Pythagoras Kopfschmerzen.

 

Auch dies ist in der Standardontologie der Mathematik, der zu folge Zahlen abstrakte Entitäten sind, welche nicht in Verursachungsrelationen stehen, ein Kategorienfehler. Hält man (5) für eine harmlose Verkürzung von

 

(5’)  Der Gedanke an die Zahl p bereitete Pythagoras Kopfschmerzen.

 

wirft dies die Problematik auf, dass für einen Gedanken an x die Existenz von x keine Voraussetzung sein muss – auch der Gedanke an Elementargeister kann beunruhigen. Was sind also Zahlen? Sind sie überhaupt etwas? Gilbert Ryle hat in seiner Metaphysikkritik, die partiell an Carnap anknüpft, ähnlich argumentiert:

 

(6)    Peter hat es mit Bewusstsein getan.

 

lädt uns dazu ein, ein Objekt Bewusstsein in unsere Metaphysik aufzunehmen, analog zu

 

(7)    Peter trank Kaffee mit Zucker.

Tatsächlich würde eine adäquatere Sprache (6) adverbial umformulieren, um den dispositionalen Charakter von Intelligenzadverbien zu betonen:

 

(6’)  Peter hat es bewusst getan.

 

Die Metaphysik der Bewusstseinsphilosophie verschwände so sprachlich. Allgemein beklagt Hans Reichenbach die Tendenz der Metaphysik, Aspekte einer Sache zu Substantialisieren. Die Metaphysik sitzt in solchen Beispielen einer vermeidbaren sprachlichen Form auf.

Am bekanntesten und naheliegendsten ist der Einsatz des Sinnkriterium (SK) zur Metaphysikkritik. Bei vielen metaphysischen Aussagen haben wir noch nicht einmal eine Ahnung davon, was es hieße, diese zu verifizieren – erst Recht, wenn dies im Sinne der frühen Verifikationismus zu verstehen wäre. Betrachten wir folgende (Original-)Sätze:

 

(8)    Das Ich ist reine Zeitlichkeit.

 

(9)    Das Etwas ist die erste Negation der Negation, als einfache seiende Beziehung auf sich.

 

Um diese Sätze zu verifizieren fehlt es uns – scheinbar, für die Vertreter des Wiener Kreises offensichtlich – der semantischen Regeln, um den Gegenstand der Prädikation zu lokalisieren, und der Regeln etwa um eine „einfach seiende Beziehung“ von anderen zu unterscheiden. Der Metaphysik wird vorgeworfen, intersubjektiv kaum einholbare Evozierungen von Intuitionen und Assoziationen vorzutragen. Darin ähnelt sie eher der Dichtung als der Wissenschaft. Vermisst wird bei der Metaphysik insbesondere eine genaue Abgrenzung und Einführung ihres Beobachtungsvokabulars. Metaphysische Theorien setzen eine Methodik ein, welche die verwendeten semantischen Regeln nicht expliziert oder einfach erkennen lässt.

Carnap verschärft schließlich seine logische Kritik an der Metaphysik durch seine Unterscheidung zwischen internen und externen Existenzfragen. Interne Existenzfragen sind solche, die sich innerhalb eines logischen Rahmenwerkes stellen lassen (etwa lässt sich innerhalb der Prädikatenlogik Erster Stufe, wenn diese zu einer Formalisierung biologischer Theorien eingesetzt wird, die Frage stellen, ob es im Eismeer lebende Säugetiere gibt). Externe Existenzfragen sind solche, die mit dem Zugrundlegen eines bestimmten logischen Rahmenwerkes schon entschieden sind (etwa ist mit der Annahme einer Prädikatenlogik Zweiter Stufe schon entschieden, dass es Eigenschaften bzw. Mengen gibt, denn über diese wird quantifiziert). Die Wahl eines Rahmenwerkes erfolgt, nach Carnap, aufgrund pragmatischer Abwägungen, wozu gerade diese Logik eingesetzt werden soll. Hier formuliert Carnap sein berühmtes ‚Toleranzprinzip’, dass wir frei sind in der Wahl unserer logischen Systeme, exakt aber in ihrer Ausarbeitung und Anwendung. Pragmatische Fragen sind indessen keine kognitiven Fragen für Carnap. Und darin gründet die verschärfte Metaphysikkritik: Die Metaphysik formuliert nicht nur Sätze wider die Logik, wie oben gesehen, sondern die Metaphysik täuscht sich selbst dort, wo sie nicht gegen die Logik verstößt, über das, was sie macht. Sie gib pragmatische Entscheidungen als theoretische Debatten aus. Solche Debatten bezeichnet Carnap als ‚Scheinprobleme’ der Philosophie. Der Universalienstreit ist ein Scheinproblem, da mit der Wahl eines betreffenden logischen Systems entschieden ist, ob es Eigenschaft (in der angenommenen Metaphysik) gibt oder nicht. Entsprechendes gilt, laut Carnap, für den Streit zwischen Phänomenalismus und (Ding-)Realismus und eine Reihe weiterer metaphysischer Grundfragen.

 

Der frühe Verifikationismus ist ein prototypisches Beispiel für den philosophischen Topos, dass mit der jeweils eigenen Position die Philosophie aufhört oder ganz neu anfängt. Der bilderstürmerische Habitus, mit welchem der Wiener Kreis auftritt, verknüpft sich indessen mit einem bedauerlichen Mangel an methodischer Selbstreflexion.

Die Metaphysikkritik des (frühen) Verifikationismus leidet an einer Reihe von Schwierigkeiten bzw. sieht sich mit den folgenden Nachfragen und Problemen konfrontiert:

Die Logik, welche Carnap und andere Vertreter des Verifikationismus vor Augen haben und gegen die Metaphysik zum Einsatz bringen wollen, ist die Standard-Prädikatenlogik, wie sie von Frege begründet wurde. Diese ist keine mehrwertige Logik. Diagnostiziert man Scheinsätze, dann bedroht deren Sinnlosigkeit (d.h. der Umstand, dass sie weder wahr noch falsch sind) die Zweiwertigkeit der Logik. Vermeiden lässt sich das, insofern die betreffenden Wortkombination erst gar nicht als wohlgeformte Sätze der reglementierten Sprache auftreten können. Carnaps Bemerkungen zu Kategorienfehlern gehen in diese Richtung. Damit muss allerdings eine komplette Kenntnis aller semantischen Kategorien der zu reglementierenden Sprache der Formulierung von deren Syntaxregeln vorausgehen – ein sehr starker Anspruch. Grundsätzlich tendiert die Betonung von finiten Rechtfertigungsregeln (bzw. algorithmischen Regeln der Begründung) dazu, eher eine konstruktivistische oder intuitionistische Logik zu bevorzugen. Dies hat Dummett immer wieder betont. Die Standardauffassung etwa der Existenzquantifikation ist nicht konstruktiv: der Existenzsatz kann wahr sein, obwohl wir die betreffende bewährende Instanz nicht vorweisen können. Aus verifikationistischer Sicht sollte das intuitionistische Verständnis der Existenzquantifikation näher liegen: der Existenzsatz ist wahr, insofern wir eine Instanz begründet haben. Entsprechendes gilt für die Standardauffassung der Negation. Einen Satz nicht begründet zu haben, heißt nicht unbedingt, die Negation des Satzes begründet zu haben. Daher bestreiten Intuitionisten das tertium non datur. Erst wenn man eine Auffassung vertritt, die Negation mit der Abwesenheit positiver Begründung gleichsetzt (wie in der ‚closed world assumption’ heutiger Programmiersprachen), kann Negation finit verifiziert werden. Logisch handelt es sich hier um die Frage, ob man die Negation über „verifiziert, dass“ distribuieren kann. Grundsätzlich steht dem Verifikationisten natürlich die Wahl einer dreiwertigen Logik offen. Eine solche dreiwertige Logik nimmt allerdings die Scheinsätze als wohlgeformte Sätze in die Sprache auf und verfügt über ein kompliziertes Ableitungssystem und eine kompliziertere Metatheorie als die übliche zweiwertige Prädikatenlogik.

Das Problem des Analytischen hängt keineswegs – wie einige immer noch meinen – mit Willard Quines berühmter, aber wenig berechtigter Kritik am Analytizitätsbegriff in „Two Dogmas of Empiricism“ zusammen. Das Problem liegt nicht in einer Überschätzung, sondern eher in einer Unterschätzung des Analytischen. Im (frühen) Verifikationismus werden analytische Sätze noch im Sinne von Wittgensteins Logischen Atomismus verstanden: sie sagen nichts über die Wirklichkeit. Dies ist falsch.

 

(10)  Katzen sind Säugetiere.

 

Angenommen (10) sei analytisch. Trotzdem besagt (10), dass Katzen Säugetiere sind – eine sachhaltige Aussage über die Wirklichkeit. Definitionen und Bedeutungspostulate werden zwar als Postulate nicht empirisch überprüft oder widerlegt, aber sie müssen immer so gewählt werden, dass sie grundlegende Züge der Wirklichkeit treffen, sonst wird sich eine entsprechende Sprache mit diesen Postulaten nicht bewähren. Und gegeben eine Menge von Bedeutungspostulaten können Folgerungen aus diesen unsere Wissen erweitern, indem sie etwas explizieren, was bisher nur implizit in diesen Postulaten enthalten war. Darin liegt gerade ein Nutzen von logischen Begriffsexplikationen und –entwicklungen. Im Kontext der Metaphysikkritik öffnet dies allerdings die Option, dass viele der scheinbar unverifizierbaren metaphysischen Aussagen in Wahrheit analytische Aussagen sind, die ein implizites Verständnis der involvierten Begriffe explizieren. Insbesondere Hegels Wissenschaft der Logik könnte man als ein Programm der analytischen Begriffsexplikation anzusehen versuchen – (9) wäre dann innerhalb dieses Programms zu beurteilen und nicht von vorneherein als sinnlos zu verwerfen!

Das Problem der theoretischen Terme ergibt sich mit dem Scheitern des reduktiven logischen Aufbaus aller Begriffe zurückgehend auf die Beobachtungssprache. Misslingt dies (d.h. wenn es keine strikten, eindeutigen verbindenden Brückenprinzipien gibt), dann haben Behauptungen über theoretische Entitäten der Wissenschaft (wie Mikropartikel, Felder etc.) keine direkte Verifikationsbasis, sondern werden kohärentistisch im Rahmen der Gesamttheorie bzw. im Rahmen der Gesamtwissenschaft gerechtfertigt. Diese Option muss man dann indessen auch der Metaphysik einräumen. Diese könnte genauso ihre Begriffe als theoretische Begriffe ansehen, welche sich im Rahmen der sich ergebenden Gesamttheorie rechtfertigen. Sprachlogisch lassen sich ‚Monaden’ wie ‚Quarks’ behandeln.

Eine frühe Kritik am Verifikationismus betrifft den Status des Verifikationsprinzips (VP) selbst. Der frühe Verifikationismus lässt nur kontingente synthetische und analytische Sätze zu. (VP) kann nicht als kontingenter Satz aufgefasst werden, da (VP) als Prinzip der Widerlegung enthoben wurde. Es scheint allerdings zugleich über unseren Begriff der ‚Bedeutung’ hinauszugehen, dass Bedeutung nur bei Verifizierbarkeit vorliegt. In diesem Fall wäre (VP) auch nicht analytisch. (VP) wäre also ein Satz, den es gar nicht sinnvoll geben kann! Gemäß den Bemerkungen im vorletzten Abschnitt ließe sich (VP) vielleicht als erkenntniserweiternder analytischer Satz auffassen. Näher liegt, dass (VP) ein Beispiel für einen synthetischen Satz a priori liefert. Der Verifikationismus kommt um synthetische Sätze a priori nicht herum. Sie treten auch an anderen Stellen auf. Zum einen wird ein sprachliches Rahmenwerk immer als Paar von Objektsprache und Metasprache entworfen. In der Metasprache werden die Ausdrücke der Objektsprache eingeführt (also zitiert) und Formregeln angegeben. Die entsprechenden Sätze sind synthetisch. Aus der Perspektive der Objektsprache muss man sie als synthetisch a priori ansehen. Zum anderen gibt es in der Logik und insbesondere in der Mengenlehre (etwa der Standardmengenlehre ZFC) Axiome, die synthetisch sind: das Unendlichkeitsaxiom in ZFC postuliert die Existenz einer unendlichen Menge und hat mit dieser Existenzbehauptung klarerweise synthetischen Gehalt. Es handelt sich um ein synthetisches Axiom, also einen Satz synthetisch a priori. Gibt man diese Klasse von Sätzen allerdings zu, dann muss man sie auch den metaphysischen Konzeptionen einräumen. Wolfgang Cramers Satz (8) kann also ein synthetisch apriorischen Satz sein, der als solcher gar nicht verifiziert werden muss. Synthetisch apriorische Sätze werden allein indirekt gerechtfertigt – vermittels der Rechtfertigung des Rahmenwerkes, das sie mitkonstituieren.

Mit dem Toleranzprinzip will Carnap philosophische kognitive Kontroversen um Rahmenwerke ausschließen. Die tolerante Wahl ist aber in zwei Hinsichten beschränkt. Zum einen können brauchbare Rahmenwerke nicht durch beliebige Konventionen eingeführt werden, wie Arthur Priors Beispiel des „tonk“-Operators deutlich macht: gegeben einen Operator „tonk“ mit einer Einführungsregel analog der Disjunktionseinführung und einer Beseitigungsregel analog der Konjunktionsbeseitigung ließe sich jeder Satz herleiten! Nicht jedes Rahmenwerk ist sinnvoll. Für den Kontext der Metaphysikkritik zentraler ist jedoch das bei Carnap immer vorausgesetzte Metarahmenwerk innerhalb dessen die pragmatischen Entscheidungen formuliert und getroffen werden. Ein Fortschritt des Wiener Kreises gegenüber der Verneinung jeglicher Metatheorie bei dem ansonsten im Wiener Kreis sehr einflussreichen Tractatus Logico-Philosophicus Wittgensteins findet sich im Betonen metasprachlicher Reflexion und Explikation. Carnap stellt in Logische Syntax der Sprache zwei Rahmenwerke vor, muss sie jedoch dabei in einem Metarahmenwerk explizieren. Ein solches Metarahmenwerk, in dem u.a. auch die jeweils letzte Metasprache beim Einführen konkreter sprachlicher Rahmenwerke anzusiedeln ist, muss es geben. Traditionell könnte man es ‚tranzendentalen Rahmen’ nennen.  Fragen, welche Strukturen dieser Rahmen aufweist, welche zugleich mutmaßlich Grenzen für Rahmenwerke überhaupt ziehen, sind die alten tranzendentalphilosophischen Fragen in einem neuen analytischen Gewand. Die angeblichen Scheinprobleme der Philosophie lassen sich verstehen als Kontroversen darüber, was diesen Rahmen auszeichnet.

Zu letzt ließe sich zumindest auch diskutieren, inwiefern der Verifikationismus von einem festgelegten Arsenal zulässiger Erfahrungs- und damit Gegebenheitsmodi ausgeht. Sophistische Theologen haben gegen die verifikationistische Kritik der Eschatologie eingewendet, dass eschatologische Aussagen (wie das Kommen der jenseitigen Welt) durchaus eschatologisch verifizierbar seien: man müsse nur warten, ob man sich nach dem leiblichen Tod im Jenseits wiederfinde! Generell wäre hier die Zulässigkeit einer besonderen religiösen Erfahrung zu diskutieren. Gib es eine solche – viele behaupten zumindest, solche Erfahrungen gemacht zu haben – dann könnte mit ihr auch eine Erweiterung des Verifizierbaren einhergehen. Entsprechendes gilt für genuine metaphysische Erfahrungen und Intuitionen. So behaupten einige Platonisten eine genuine mathematische Intuition bzw. das Ergreifen abstrakter Entitäten. Phänomenologen wie Edmund Husserl behaupten eine den Formalwissenschaften korrespondierende ‚kategoriale Anschauung’. Die Beweislast liegt hier auf Seiten der Metaphysiker, die Debatte kann aber nicht von vorneherein blockiert werden.

 

Ein reformierter Verifikationismus lässt sich auch heute noch als Variante einer Rechtfertigungssemantik verteidigen. Es handelt sich bei ihm um eine Semantik und Epistemologie koppelnde Variante des semantischen Internalismus. Die verifikationistische Metaphysikkritik hingegen lässt sich in ihrer ursprünglichen Radikalität nicht halten. Metaphysische Theorien ähneln zu sehr umfassenden sprachlich-begrifflichen Rahmenwerken. Als solche lassen sie sich eventuell als weniger kohärent als andere solche Rahmenwerke kritisieren – dies muss aber im Einzelfall gezeigt werden. Anknüpfungspunkte hierzu sind etwa Carnaps Betonung der Methodenexplizitheit oder Reichenbachs Unterscheidung zwischen Erklärungen und Pseudo-Erklärungen.

 

 

Literatur

 

Bremer, Manuel. Philosophische Semantik. Frankfurt a.M. 2005.

Carnap, Rudolf. Scheinprobleme in der Philosophie. Berlin 1928.

- Der logische Aufbau der Welt. Leipzig 1928.

- Die physikalische Sprache als Universalssprache der Wissenschaft, Erkenntnis, 1931.

- Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache. Erkenntnis, 1931.

- Logische Syntax der Sprache. Berlin 1934.

- Testability and Meaning. Erkenntnis, 1936.

- Empiricism, Semantics, Ontology. Revue Internationale de Philosophie 4, 1950.

Dummett, Michael. Truth and Other Enigmas. London1978.

Neurath, Otto. Einheitswissenschaft und Psychologie. Wien, 1933.

Reichenbach, Hans. Der Aufstieg der wissenschaftlichen Philosophie. Berlin 1951.

Schlick, Moritz. Die Wende der Philosophie. Erkenntnis, 1930.

- Meaning and Verification. Philosophical Review 45, 1936.

- Gesammelte Aufsätze, Wien 1938.