Sprachen, interne Repäsentation und Denken

 

Die philosophische Tradition diskutierte die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Sprache und Denken vornehmlich, aber nicht ausschließlich, bezogen auf natürliche Sprachen. Eine Repräsentationalistische Theorie des Mentalen (RTM) knüpft an die Idee der lingua mentis an und postuliert als inneres Repräsentationsmedium eine language of thought (LOT). Damit stellt sich die Fragen nach dem Zusammenhang zwischen Denken und Sprachen, nämlich sowohl dem zur LOT als auch dem zur natürlichen Sprache, als auch nach dem Zusammenhang zwischen LOT und natürlicher Sprache.

§1 Die Hauptfunktion der LOT – und damit eines sprachlichen Systems – in einer RTM besteht in der Leistung der Repräsentation (von Eigenschaften, Zuständen usw. für das kognitive System). In diesem Sinne geht die Repräsentation der Kommunikation (in einer natürlichen Sprache) voraus. Die Worte eine öffentlichen (‚natürlichen’) Sprache können für kommunikative Zwecke eingesetzt werden, weil der Kern ihrer Bedeutung ein Begriff ist, wobei ein Begriff nichts anderes ist als ein Typ von LOT-Symbol. Einen Begriff zu repräsentieren heißt, ein token des entsprechenden LOT-Typs zu bilden. Worte repräsentieren also aufgrund des Kerns ihrer Bedeutung: einer LOT-Repräsentation.
LOT und natürliche Sprache teilen die Strukturmerkmale von Sprachen (im Unterschied zu Signalsystemen oder finiten Zeichenkollektionen): Sie sind produktive, weil systematische und kompositionale, diskrete Symbolsysteme.

§2 Die Verknüpfung eines Begriffes mit einem Ausdruck der natürlichen Sprache schließt dann sowohl ein ostensives Element als auch eine Konventionalisierung ein. Das ostensive Element (die ‚Taufsituation’) verknüpft die situative Gegebenheit der Referenzeigenschaft bzw. des Referenzobjektes mit der Konvention, die der darauf folgenden starren Designation entsprechender Artausdrücke und Eigennamen zugrunde liegt, dass alles, was mit ‚diesem’ (stoff-) identisch ist, soundso bezeichnet werden soll. Damit ergibt sich innerhalb einer betreffenden Sprachgemeinschaft bei den Mitgliedern die Konvention, dass sich der einzelne zur Not auf Experten berufen kann, welche eine entsprechende Identifikation vornehmen können, und dass eine Kette innerhalb der Sprachgemeinschaft vorliegt, die letztlich bis in die Taufsituation zurückreicht.
Diese Konventionalisierung betrifft einen Ausdruck einer natürlichen Sprache und insofern sie kein besonderes inhaltliches Experten- oder Bedeutungswissen einschließt, hat sie metasprachliche Charakteristika: „A wird in der Sprache L auf eine von Experten überprüfbare Weise verwendet und bezieht sich auf ||A||.“ Auch die ostensive Definition zitiert den Ausdruck: „Dies hier soll A heißen“ bzw. „Dies hier und alles, was mit ihm stoff-identisch ist, soll A heißen.“ Was ‚dies’ ist – was seine Identität ausmacht – muss zur Zeit der Taufe nicht gewusst werden. Und bei der ostensiven Identifizierung können Attribute eine Rolle spielen, welche die Referenzfestlegung in der Situation erlauben (etwa „diese helle Flüssigkeit dort“), welche jedoch nicht bedeutungskonstitutiv sind.
Nichtsdestotrotz verweist damit die Bedeutung eines Ausdrucks einer natürlichen Sprache auf Konventionen, die Phoneme und Buchstaben betreffen, welche einem Begriff zugeordnet werden. Diese Konventionen werden sozial etabliert und sind/werden geteiltes Wissen. Lexikoneinträge zu Wörtern einer natürlichen Sprache kombinieren damit Elemente, welche auf geteiltem Wissen einer Sprachgemeinschaft beruhen, mit repräsentierenden Elementen – und weiteren Elementen (u.a. syntaktischer Natur). In diesem Sinne verknüpfen sich in einer natürlichen Sprache Kommunikation und Repräsentation.
Gegeben die Fundierung eines Ausdrucks einer natürlichen Sprache in einem LOT-Begriff und gegeben die Konventionalisierung in der Sprachgemeinschaft lässt sich sagen: Ein Sprecher bezieht sich mit einem Ausdruck auf die entsprechende Referenz, soweit vorhanden, ob er dies weiß oder nicht. Insbesondere sind Verfahren der Ausdrucksanwendungsüberprüfung (wie das Expertenwissen) nicht bedeutungskonstitutiv. Insofern Mitglieder einer Sprachgemeinschaft einen kulturellen Kontext teilen, teilen sie in der Regel auch Wissen, wie sich das Vorliegen der Referenz auf die eine oder andere Weise überprüfen lässt. Die dabei verfolgten Methoden können indessen stark variieren: von der Berufung auf Wahrnehmung bis zu kanonischen Testverfahren.

§3 Bezüglich des Mentalen ließe sich ein Modell (eine '‚so könnte es sein Geschichte') vortragen, welches LOT, natürliche Sprache und inneres Sprechen in Beziehung setzt. Dieses Modell schöpft seine Plausibilität aus unserem evolutionstheoretischen und ethologischen Wissen. Die Geschichte wäre die folgende:
Einige Tiere entwickelten Repräsentationen, die sich in eine primitive Form der LOT entwickelten (d.h. eine Form ohne Rekursion und möglicherweise andere logische Elemente wie universelle Quantifikation oder kontrafaktische Konditionale). Diese LOT war das Medium ihrer mentalen Zustände und Vorgänge, war aber selbst nicht einer Art der Bewusstheit zugänglich, falls diese Tiere überhaupt so etwas besaßen. Durch irgendeine evolutionäre Entwicklung oder einen evolutionären Sprung kam es zur LOT, wie Menschen sie besitzen, und damit überhaupt erst zu menschenartigen Wesen. Die menschliche LOT enthält ein reichhaltigeres logisches System (insbesondere die oben erwähnte Rekursion einschließend, aber auch weitere Komponenten, wie (höherstufige) existenzielle und universelle Quantifikation, modale Prinzipien, Komprehensionsprinzipien, Mereologie …). Kognitive Systeme mit einer solchen LOT als kognitivem Rückrat entwickelten bzw. besitzen eine ‚theory of mind’ (d.h. können sich und andere Speziesmitglieder als intentionale Akteure mit mentalen Zustände auffassen) und entsprechendes wechselseitiges Wissen (insofern sie damit von den anderen wissen, dass diese eine selbst als intentionales System ansehen). Damit konnten menschenartige kognitive Systeme fortschreiten von Signalsystemen, wie sie sich auch im Tierreich finden, zu Vorformen natürlicher Sprachen und schließlich zu natürlichen Sprachen, welche sich durch geteilte Symbole auszeichnen (Sprecher und Hörer teilen die Bedeutung eines Ausdrucks und wissen darum). Symbole erlaubten so Kommunikation über geteilte Inhalte. Gleichzeitig und darauf weiter aufbauend konnten diese menschenartigen kognitiven Systeme ihre Kommunikationen für sich simulieren und (phonetisch) imaginieren, so dass sie damit inneres Sprechen entwickelten. Inneres Sprechen ist das Medium der bewussten Überlegung, Reflektion und Erwägung von Plänen und Argumenten und Ansichten. Durch das innere Sprechen traten die repräsentationalen Ressourcen der LOT in das Bewusstsein ein, mittels isomorpher (oder hinreichend strukturäquivalenter) Ausdrücke einer natürlichen Sprache. In Ergänzung oder im Kontrast zu den Zuständen, die zuvor irgendwelche LOT-Strukturen im Bewusstsein widerspiegelten. Inneres Sprechen brachte nicht das Bewusstsein oder Selbstbewusstsein hervor, aber erst mit dem Inneren Sprechen stehen dem Bewusstsein und Selbstbewusstsein die logischen Ressourcen eines sprachlichen Codes zur Verfügung. Überlegung und bewusstes Räsonieren (Denken im engeren Sinne) hängen so mittels des Mediums des inneren Sprechens von einer natürlichen Sprache ab. Die natürliche Sprache wiederum hängt von den logischen und repräsentationalen Ressourcen der LOT ab.

§4 Explizite sprachliche Deliberation ist so ein evolutionärer Spätkommer, genau wie explizit sprachliche Kommunikation. Gegeben repräsentationale und motorische Fähigkeiten engagieren sich Tiere in ihrer Umwelt. Auch beim Menschen geht das Engagiertsein in der Umgebung zunächst bewusster Planung voraus. Bewusste Deliberation und Planung bilden die Ausnahme im alltäglichen Besorgen. Dies gilt erst recht für die formal stilisierte Form expliziter Prozeduren des Räsonierens. Das extremste Beispiel, dies zu verdeutlichen, liefert die formale Logik. Wir sind logische Wesen, aber denken in der Regel nicht an die Logik und nicht explizit in ihren Formalismen, wie ein Blick auf die Erforderlichkeit logischer Propädeutik zeigt.

 

Manuel Bremer, 2014.